Familien von im November getöteten Demonstranten zum Schweigen gezwungen

Sechs Monate nach den Protesten vom November 2019, als Hunderte von Demonstranten und Zivilisten durch unrechtmäßige Gewalt getötet wurden, haben die Behörden den Familien von Demonstranten noch keine Informationen zum Tod ihrer Angehörigen gegeben. Stattdessen sollten sich die Familien auf ein Geldangebot und „Märtyrertum“ einigen. Die Familien von Shabnam Dayani, Azadeh Zarbi und Farzad Ansarifar wurden mit Anwendung von Gewalt bedroht, ihr Schweigen zu bewahren.

Die Regierungsvertreter bedrohten mehrere Familien der Demonstranten, ihre Angehörigen als „Märtyrer“ anzuerkennen und drängten sie, sich im Austausch für ihr Schweigen mit Geld zu begnügen.

Shabnam Dayani gehörte im November 2019 zu den Demonstranten des landesweiten Aufstands in Shiraz. Sie wurde am 16. November 2019 getötet. Sie und 12 weitere Personen wurden von den Fahrzeugen der paramilitärischen Revolutionsgarde überfahren.

Als, laut eines Augenzeugen, Shabnams Eltern gingen, um die Leiche ihrer Tochter mitzunehmen, wurden sie von den Behörden bedroht und angewiesen, Interviews zu geben, in denen sie den Tod ihrer Tochter als Unfall erklären.

In einem Interview, das in sozialen Medien veröffentlicht wurde, beschrieb Azadeh Zarbis Familie die Tage nach Azadehs Tod wie folgt:

„Am ersten Tag im Krankenhaus war sie bereits vor uns dort und wir gingen mitten in der Nacht nach Hause. Am nächsten Tag sagten [Mitarbeiter des Krankenhauses], sie hätten die Leiche an das Büro des Gerichtsmediziners in Teheran übergeben. Dieser bestritt dies zwei Tage lang und sagte, es hätte keine solche Person. Dann schickten sie uns zum Gerichtsmediziner von Kahrizak. Der sagte, dass eine solche Person nicht bei ihm sei. Von dort wurden wir zum Gerichtsmediziner von Ghaleh Hassan Khan (Qods) geschickt, aber man sagte uns, dass es keine solche Person gab.

Schließlich fanden wir in einem Büro des Gerichtsmediziners ein Familienmitglied, das sagte, die Leiche sei dem Gerichtsmediziner von Shahriar übergeben worden.“

Azadeh Zarbis Eltern sagten, dass der Gerichtsmediziner von Shahriar wegen ihrer Bekanntschaft von ihnen nicht verlangte, für die Kugeln zu bezahlen, die ihre Tochter getötet hatten. Aber um die Leiche zu erlangen, mussten sie wiederholt an Regierungsvertreter schreiben und schriftliche Zusagen unterzeichnen.

Nach Angaben der Familie „wir versprachen, keine Menschenmenge zu bilden, nicht zu trauern, nicht mit den Familien anderer verstorbener Demonstranten in Verbindung zu treten und nicht mit den Medien zu sprechen. Nachdem wir diese Zusagen gemacht hatten, durften wir sechs Personen an der Beerdigung teilnehmen lassen. Die Sicherheitskräfte wählten den Friedhof selbst, am weitesten von Kamalshahr. Sie wählten sogar das Grundstück auf dem Friedhof, wo sie begraben werden sollte.“

Während der Beerdigung und der Begräbniszeremonien erinnerten die anwesenden Regierungsvertreter  die Familie immer wieder daran, „sich selbst zu kontrollieren“.

„Selbst als die Leiche auf den Friedhof gebracht wurde, kamen zwei Offizierinnen und setzten sich neben Azadehs Mutter. Sie ließen sie nicht sprechen und niemand durfte mit ihr sprechen.“

Azadeh Zarbis Familie ging zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Aber man sagte ihnen, dass die Staatssicherheitskräfte nicht auf ihre Verwandten geschossen hätten. Sie sagten nicht: „Wir waren nicht da“. Sie sagten: „Die Person, die geschossen hat, war nicht einer unserer Leute.“ Sie zwangen die Familie, schriftlich zu versprechen, mit niemandem darüber zu sprechen.

Auch Farzaneh Ansarifar sprach davon, bedroht worden zu sein, über das Martyrium ihres Bruders beim Aufstand im Jahre 2019 zu schweigen:

„40 Tage nach Farzads Tod setzten Unbekannte mein Haus und mein Auto in Brand, während Farzads Todesanzeige noch an der Wand hing.“

Farzad Ansarifar, ein 27-jähriger Bauarbeiter, wurde bei den landesweiten Protesten am 16. November in der Stadt Behbahan in der Provinz Khuzestan getötet.